Donnerstag, 25. Februar 2010

Flucht und Vereinigung

Mein Vater ist mit 19 Jahren im Jahr 1954 von "der ehemaligen DDR" über einen Zwischenstopp in Berlin in den Westen "geflüchtet".

Damals: gab es für Ihn kein zurück. Die Familie durfte er bis 1968 nicht besuchen - er hatte Einreiseverbot.

Dann: sind wir das erste Mal 1968 "nach drüben" gefahren.
Zu Oma, Opa, Tanten, Onkels, Cousins und Cousinen.

Meine Schwester: war 8 Jahre alt
Ich: war erst 3 Jahre alt.

Mit dem Zug sind wir gefahren.
Stundenlang waren wir unterwegs - eine Tortur für meine Eltern.
Für meine Mutter war die lange Reise mit uns beschwerlich - wir waren quenglig - und:
sie wußte nicht, was sie erwartet.
Für meinen Vater war die lange Reise auch eine Reise ins Ungewisse: was wird ihn dort erwarten? Nach so vielen Jahren Abwesenheit.

Briefkontakte gab es vorher - sonst nix - also: ständig ist er mit der Frage gereist "Was hat sich verändert" und wie wird es sein - wieder "Heim" zu kommen?

Nun also: nach allen Schikanen sind wir angekommen.

Geld musste man "umtauschen". Tagessatz damals: 17 Ost-Mark pro Kopf.

Nach einer Woche war meinen Eltern klar: das Geld wird man dort nicht so einfach los.

In den Läden: gab es nix.
Im Intershop einkaufen: war nicht drin - das war Westware, die man bei uns zum "Spottpreis" bekam.
Ins Restaurant zum Essen: ging nicht jeden Tag. Der Aufwand war zu groß.
Einkaufen: JAAAAAA - aber was?

Erzgebirgetour: Die Lösung des Problems.
Erzgebirge war Kunsthandwerker-Hochburg.
Da gab es wundervolle Sachen.

So auch diese Teetassen aus Vietnam - ja ihr lest richtig - vietnamesische Teetassen in der DDR.

Regimebedingt!













Schönes Regime-Nebenprodukt!
Erschwinglich in der DDR für "Wessies"









Aber: es herrschte Ausfuhrverbot für Kunsthandwerk.

Einfach kaufen und in den Westen mitnehmen - das ging gar nicht!




So wurden diese Tassen "Schmuggelobjekt".

Viele Jahre einzeln unter höchster Anspannung geschmuggelt. Erst im Zug, dann im Auto.

Teilchenweise kam das Service in den Westen.

Wir wußten nichts davon - Kinder sind Verräter - unbewußt da wahrheitsliebend!!!

Nur die Mutter war die Schmugglerin - nicht mal mein Vater wußte, wann, wo und wie die Tassen "versteckt" wurden. Er wäre sonst auch aus lauter Nervosität zum Verräter geworden - er hatte nicht das Zeug zum Schmuggeln!!!

Erst im Westen - zurück im Heim - kam die "Schmugglerware" zum Vorschein. Der Vater: war jedes Mal im Nachhinein froh, ass alles gut ging. Denn jedes Mal war mit Angst und Bange behaftet - mit dem Risiko, festgehalten zu werden.

Mit dem Risiko nie wieder einreisen zu dürfen - nie wieder die Familie sehen zu können.

Und das alles wegen: 17 Ost-Mark pro Nase pro Tag und Vietnamesischen Teetassen!!!

Erinngerungen - jedes Mal wenn wir die Tassen in der Vitrine sehen.

Gut so, denn die Familie ist verstorben.

Geblieben aus dem Osten für uns: viele schöne Kunsthandwerke und aufregende (Schmuggel-)Erlebnisse und Erinnerungen.


Und: East meets West schon in frühen Jahren.

Die Tassen für uns: das Vereinigungssymbol!!!

2 Kommentare:

Traudi Gartendrossel hat gesagt…

Liebe Sandra,

Deine TassenGeschichte ist so berührend und mir fahren Schauer über den Rücken...
Deine wunderschönen Tassen sind mit dieser Geschichte noch wertvoller geworden... Dankeschön, dass Du uns an diesem Erlebnis teilhaben lässt...

Liebe Grüße von Traudi

Johanna Gehrlein hat gesagt…

Hallo Sandra,

solche Teetassen habe ich gelegentlich bei online-Versteigerungen gesehen, aber leider nie bekommen. Jetzt weiß ich auch, wo die herkommen. Deine Geschichte packt mich richtig, weil auch meine Familie getrennt lebte, ein Teil in der DDR, der andere Teil im Westen. Da kann ich einiges nachempfinden.

Liebe Grüße Johanna